Am Stammtisch

Geschlossene Gesellschaft hinter offenen Türen.

von Oliver Herrmann-Preschnofsky

Die dicke Holztür kracht hinter mir zu, als ich das Gasthaus Hack betrete. Stille. Obwohl es dunkel ist erkenne ich eine Bar, hinter der jedoch niemand steht. Erich Hack, der Wirt und Besitzer des Hauses, sitzt im Gastgarten und unterhält sich entspannt mit einem Mann. Er ist der einzige Gast; es ist wenig los, denn es ist erst halb vier am Nachmittag. Erst als meine Schritte durch den Raum zu Herrn Hack hallen, bemerkt er mich. Er steht auf, begrüßt mich freundlich und lädt mich ein, sich zu ihnen zu setzen. Vom einzigen Gast, einem jungen Mann in weitem, dunkelblauem T-Shirt und kurzer Jogginghose, werde ich mit einem Kopfnicken empfangen, als wäre ich hier bereits Stammgast. Dabei bin ich erst einmal hier gewesen und habe den Mann noch nie gesehen.

Während sich der Wirt mit seinem Gast unterhält und immer wieder vorbeifahrenden Autos zuwinkt – die Fahrer sind Stammgäste – sehe ich mich ein wenig im Lokal um. Dass in diesem Wirtshaus jeden zweiten Freitag der Eichgrabener Motorradklub tagt, ist schon auf den ersten Blick ersichtlich. Bereits vor dem Eingang hängt ein Plan an der Wand, der mit kleinen Bikes verziert ist und die geplanten Events des Klubs auflistet. Gemeinsame Ausflüge, Champions-League-Abende und auch einfache Treffen stehen am Programm der nächsten paar Wochen. Ein weiterer Kalender, der nackte Frauen auf Motorrädern zeigt, hängt gleich neben dem Ausgang zum Gastgarten. Der Wirt selbst ist ebenfalls Mitglied des Motorradklubs und bei den Events stets dabei – meist finden sie hier statt.

Über das Thema Fußball komme auch ich mit ihm ins Gespräch, nachdem der Gast bezahlt und die Stube verlassen hat. Er ist Bayern- und Rapid-Fan; die Emblems der beiden Vereine hängen direkt über dem Eingang. Wir reden über das verlorene Semifinale gegen Atletico Madrid. Auch dieses wurde gemeinsam mit dem Klub verfolgt. „Da wird’s auch schnell einmal ein bisschen härter!“, berichtet Erich lachend. „Wir hatten auch einige Atletico-Fans dabei. Fußball bringt halt die Emotionen raus.“

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© Oliver Herrmann-Preschnofky

Über Fußball hat Erich auch die erste Erfahrung mit Flüchtlingen gemacht. Er erinnert sich freudig sowohl an die nigerianischen Flüchtlinge, die hier aufgenommen wurden und für den Eichgrabner Verein gespielt hatten, als auch an eine brasilianische Spielerin von Neulengbach, die in Eichgraben gearbeitet hatte, um ihre Aufenthaltsgenehmigung zu sichern.

Schließlich schwenke ich das Gespräch auf die Frage um, die mich brennend interessiert: wie steht man hier zu den neuen Flüchtlingen aus dem Nahen Osten?  Erich ist sich erst unsicher, wie er antworten soll und schwankt ein wenig mit dem Kopf. „Naja…“ murmelt er und wirft mir einen prüfenden Blick zu. Ob man mit mir offen reden kann? Offensichtlich schon. „Glücklich sind wir nicht. Die Angst geht schon um“, meint Erich. Der Fall einer Eichgrabnerin, die angeblich von Flüchtlingen attackiert wurde, wird mir genannt. Die Tatsache, dass dieser Vorfall nie passiert ist, ist hier noch nicht angekommen. Letztendlich muss Erich zugeben, dass er doch nicht viel von Problemen mit Flüchtlingen hört.

Dass viele seiner Gäste, wie er behauptet hatte, trotzdem nicht glücklich wären, bestätigt sich mir wenige Minuten später, als ein Gast namens Walter eintritt, den ich auf etwa sechzig schätze. Er ist dürr, trägt einen Stoppelbart und wirkt erschöpft auf mich. Auch er kennt Erich persönlich. Er setzt sich an unseren Tisch und bestellt sich ein Bier, begrüßt mich ebenfalls mit Kopfnicken und nimmt sofort an unserer Unterhaltung Teil. Eine Aussage erweckt mein Interesse. „Merkel ist an allem schuld. Sie sagt zuerst ‚Kommt zu uns, wir schaffen das!’ und schließt dann die deutschen Grenzen?“

Diesen Satz hatte ich erst am Vortag in einer TV-Konfrontation mit Norbert Hofer gehört. Obwohl die FPÖ in Eichgraben die schwächste im Gemeinderat vertretende Partei ist, und Eichgraben auch bei der Stichwahl mehrheitlich Alexander Van der Bellen wählen wird, war ich hier auf einen Teil der Eichgrabner Bevölkerung gestoßen, der durchaus mit einem freiheitlichen Kandidaten sympathisiert.

Eichgraben entwickle sich in eine unangenehme Richtung, darin sind sich der Wirt und Walter einig. „Früher hat man hier alle gekannt. Da hat’s auch noch um die 15 Wirte und Kaffeehäuser hier gegeben.“, erinnert sich Erich bedrückt. Die jungen EichgrabenerInnen ziehe es nach Wien, traditionsreiche Geschäfte müssten schließen. Sogar den Schöpfer des Dorfwappens, „den Watzek-Peter“ kannte man noch persönlich. Mit Flüchtlingen, die kein Wort Deutsch sprechen, verhalte sich das natürlich anders. „Man verliert das Gemeinschaftsgefühl.“, fasst es Walter kurz zusammen.

Als weitere bekannte Gäste eintreffen, verfällt das Interesse an unserem begonnenen Gespräch augenblicklich und man wendet sich Wichtigerem zu: „Wie war’s gestern?“ und, ob der Nachbar einer Stammgästin denn ein Charmeur sei. Ich werde von der wachsenden Gruppe nicht mehr ins Gespräch eingebunden und kann der Unterhaltung bald nichts Interessantes mehr abgewinnen. Schlussendlich gehöre ich hier trotz Begrüßung durch Kopfnicken nicht wirklich dazu. Einer der Gäste reißt einen Witz über Wiener und der inzwischen zehn Mann starke Stammtisch bricht in Gelächter aus.

Die dicke Holztür kracht erneut hinter mir zu, als ich das Gasthaus verlasse. Mit Eintreffen der anderen Stammgäste hatte das Gemeinschaftsgefühl eingesetzt, von dem Walter gesprochen hatte. Man ist endlich unter sich, endlich unter Gleichgesinnten. Mir als Nicht-Hack-Regular bleibt keine Chance, am Gespräch teilzunehmen – und das trotz meiner Deutschkenntnisse. Der Weg in die Herzen der Hack-Gäste ist wohl doch schwieriger, als ich gedacht hatte. Bestimmte Interessen sollte man wohl vorweisen und über bestimmte Themen mitreden können.

Es bleibt also zu hoffen, dass die Flüchtlinge Eichgrabens entweder begeisterte Fußball-Fans sind, oder leidenschaftlich gern Motorrad fahren.

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