Sissi gibt zurück

Einen Flüchtling zum Nachbarn, einen zum Schwiegersohn.

Von Mashiah Sheikh und Carola Wimmer

Als bekannt wurde, dass Anfang 2014 Flüchtlinge in Eichgraben aufgenommen werden, bot Sissi Hammerl sofort dem Bürgermeister Eichgrabens, Dr. Martin Michalitsch, ihre Hilfe an. Das Flüchtlingsthema hat die kürzlich pensionierte Lehrerin ihr ganzes Leben begleitet. Ihr Vater war selbst Heimatvertriebener, eine ihrer drei Töchter hat einen nigerianischen Fußballspieler und Flüchtling geheiratet und sie selbst hat die Initiative MOSAIK ins Leben gerufen. Im Gespräch erzählt sie von Eichgraben, der interkulturellen Kommunikation und von dutzenden, unvergesslichen Erinnerungen.  

Wie sahen die ersten Schritte aus, als sie 2014 erfahren haben, dass Flüchtlinge nach Eichgraben kommen?
Am Anfang haben wir überlegt, wie wir die Flüchtlinge willkommen heißen können. Wir haben sie dann mit Vertretern von der Gemeinde und Mitgliedern von MOSAIK in der Unterkunft empfangen. Das war wirklich sehr berührend. Eine Frau hat zu mir gesagt: “Ich habe jetzt Monate lang nicht gelacht, aber heute konnte ich endlich wieder lachen!”

Welche Rolle hat MOSAIK dabei eingenommen?
Wir haben einen Zettel herumgehen lassen, um aufzuschreiben, was sie so brauchen. Die meisten wollten Deutsch lernen oder eine Arbeit finden. Die Deutschkurse haben sofort angefangen. Viele erreichen auch schon das A1 und A2 Niveau bei uns, bevor sie in den Kurs vom AMS kommen. Sie haben auch den Ehrgeiz, sich beim Interview für den Asylantrag schon selbst vertreten zu können.

Wie haben die EichgrabenerInnen auf die Flüchtlinge reagiert?
Am Anfang gab es große Akzeptanz in der Bevölkerung. Es war eine Aufbruchstimmung und so befriedigend für mich und für die anderen, die mitgewirkt haben. Mir ist es so vorgekommen, als ob sich niemand traute, dagegen zu sein.
Schön langsam mit Pressemeldungen und Vorkommnissen, die nicht in Eichgraben waren, hat sich die öffentliche Meinung geändert. Wenn die Leute die Flüchtlinge aber kennen lernen, wenn sie mit ihnen geredet haben, dann sind sie nicht mehr ängstlich.

Was macht MOSAIK gegen die Angst in der Bevölkerung?
Wir versuchen, das mit unserem Tun zu entkräften. Ich glaub nicht, dass es mit Reden irgendetwas nützt.
Ein Bericht hat da sehr viel Staub aufgewühlt. Jemand hat auf Facebook geschrieben, dass die Nachbarin von zwei Flüchtlingen belästigt worden sei. Sie war mit zwei Hunden unterwegs. Sie hätte einen Mann mit der Leine niedergeschlagen und den anderen hätte ein Hund fertig gemacht. Sie hätte noch gewartet, bis die Rettung und die Polizei gekommen wären. Das ist etliche Male auf Facebook verbreitet worden.
Es ist schlussendlich heraus gekommen, dass es zwar eine Meldung gegeben hat, aber die Rettung war auf keinen Fall da und die Polizei hat auch keine Anzeige gemacht. Die Männer haben lediglich zur Frau gesagt, dass sie einen schönen Hund habe.

Sissi Hammerl
© Carola Wimmer
Was ist das Bemerkenswerte an den Leuten, die zu uns kommen?
Ich hab ein Gespräch mit einem Mann aus dem Innenministerium geführt. Er sagte, dass weniger die Bildung der Menschen, die nach Österreich flüchten, das Wertvolle ist, sondern das Durchhaltevermögen, das sie haben. Sie haben diesen Unternehmergeist, dass sie sich trauen, die weite, gefährliche Reise zu machen.
Haben sie 2004, als die vier Flüchtlinge aus Nigeria gekommen sind, bereits Hilfe geleistet?
Ja, weil 2004 waren meine Töchter, Nichten und Neffen ungefähr im gleichen Alter wie die nigerianischen Fußballspieler. Mein Neffe hat Fußball gespielt und sie einmal mit nach Hause gebracht. Ich habe angefangen, Deutsch mit ihnen zu lernen. Zu dieser Zeit ist auch die Beziehung zwischen meiner Tochter und Anthony, einem der Fußballspieler, entstanden.Wie war das für Sie?
Für mich war das in Ordnung. Ich mag Anthony sehr gerne, ich werde ihn immer unterstützen.
Sissi Hammerl 3
© Carola Wimmer

Wie lange hat Anthony auf eine Aufenthaltsbewilligung gewartet?
Er hat acht Jahre auf seine Aufenthaltsberechtigung warten müssen. Lange Zeit gab es Probleme und Unsicherheiten mit dem Asyl. Meine Tochter hat gesagt: „Ich gehe auf jeden Fall mit, wenn er zurück muss.”
Als meine Tochter dann schwanger war, hatte Anthony immer noch nicht seine Aufenthaltsbewilligung. Am Tag des Geburtstermins hat er die Rot-Weiß-Rot-Karte bekommen. Jetzt hat er endlich seinen Titel und eine Arbeitsstelle.

Wie haben Sie ihn in dieser Zeit unterstützt?
Ganz viele Dinge, die offensichtlich waren, sind nur mit dem Rechtsanwalt gegangen. Erst wenn der Rechtsanwalt angerufen hat, bei der zuständigen Behörde, hat es funktioniert. Das hat so viel Aufwand und so viel Geld gekostet. Einer der Nigerianer musste zurück, nur weil er eine Frist verpasst hatte. Bis dahin habe ich recht viel Vertrauen in unseren Rechtsstaat gehabt. Ich bin eine Staatsbürgerin, ich kann mich artikulieren. Aber die Leute, die sich nicht auskennen und die Sprache nicht können, sind wirklich aufgeschmissen.

Weshalb helfen Sie den Flüchtlingen?
Ich habe meine Eltern und Großeltern immer gefragt, warum sie nichts gegen Hitler gemacht haben. Ihre Antwort darauf war immer: „Ein Einzelner hat da nichts machen können und wir wären verfolgt worden.” Jetzt bahnen sich ähnliche Sachen an. Doch heutzutage wird niemand bestraft werden, wenn er gegen diese Maßnahmen ist. Trotzdem gibt es so wenig Leute, die sich für Flüchtlinge aussprechen und wirklich Stellung beziehen.
Und wie erklären wir unseren Nachkommen, dass wir nichts gemacht haben, gegen dieses Sterben im Mittelmeer? Wir wissen das alles. Ich weiß nicht, wie das weitergehen soll. Ich weiß nur, dass wir irgendwann Erklärungsbedarf haben.

Was hat Sie am meisten geprägt und verändert?
Diese Erfahrung, dass wir hier in Österreich so privilegiert sind und so sicher leben. Ich hab überhaupt keine Angst. Ich habe alles. Alles. Da gibt es Leute, die haben alles verloren. Die haben ihre Lieben im Krieg verloren und ihr ganzes Hab und Gut dort lassen müssen.
Sie kommen hierher, müssen hier versuchen, sich eine neue Existenz aufzubauen. Und ich möchte ganz einfach auch etwas zurückgeben, von dem, was ich so im Übermaß habe. Wenn mich jemand fragen würde, was ich mir wünsche, wüsste ich gar nicht, was ich mir wünschen soll. Ich wünsch‘ mir nichts. Nur, dass es so bleibt.
Sissi Hammerl 4
© Carola Wimmer

Rechtslage für Flüchtlinge in Österreich:

AsylwerberInnen sind alle diejenigen, deren Asylverfahren noch nicht abgeschlossen ist. Um in Österreich arbeiten zu dürfen, brauchen sie eine Beschäftigungsbewilligung. Meistens wird diese nur für Saisonarbeit  im  Gastgewerbe  oder  in  der  Landwirtschaft für die Dauer von sechs Monaten erteilt.

Asylberechtigte/r (Konventionsflüchtlinge) sind nach Definition des Flüchtlingsbegriffes der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt als Flüchtling. Ihr Verfahren ist abgeschlossen. Dies gewährt ein Einreise- und Aufenthaltsrecht in Österreich. Sie benötigen keine Beschäftigungsbewilligung.

Subsidiär Schutzberechtigte/r sind nach der Genfer Flüchtlingskonvention nicht als Flüchtlinge anerkannt. Wenn der Antrag auf den Status als Asylberechtigter abgewiesen oder aberkannt wird und eine Abschiebung in das Herkunftsland eine ernsthafte Bedrohung des Lebens aufgrund eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes bedeuten würde, kann ein Antrag für internationalen Schutz gestellt werden. Subsidiär Schutzberechtigten steht eine befristete Aufenthaltsberechtigung zu, die verlängert werden kann. Sie benötigen keine Beschäftigungsbewilligung.

Genfer Flüchtlingskonvention
Wenn eine Person wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung verfolgt wird, gilt diese Person laut Genfer Flüchtlingskonvention als Flüchtling. Krieg oder Angst vor Krieg fallen demnach nicht unter den Flüchtlingsbegriff der Genfer Flüchtlingskonvention.

Wieviel Geld bekommen Asylwerber?
In Niederösterreich bekommen Asylwerber monatlich 200 Euro Unterhalt pro Person, pro Kind 90 Euro. Wenn sie eine eigene Wohnung haben, bekommen sie noch 240 Euro dazu.

Als Beispiel: Eine Familie mit zwei Erwachsenen und zwei Kindern bekommt demnach 580 Euro (200+200+90+90) + 240 Euro für die Wohnung. Das macht 820 Euro pro Monat für die ganze Familie zum Leben.

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