„Man kann Flüchtlinge nicht ungezügelt aufnehmen.“

SPÖ-Gemeinderat Ernst Singer im Gespräch

von Peter Schöggl und Konstantin Hammermüller

Wie geht die Gemeinde mit Flüchtlingen um? SP-Gemeinderat Ernst Singer im Gespräch über die Polizei, Geld und Hotspots.

Was sind Blaulichtstammtische?

Zwei mal im Jahr treffen sich die Blaulichtorganisationen, also Polizei, Rettung und Feuerwehr, mit der Gemeindeführung und tauschen sich miteinander aus. Das Ziel ist, dass man da ein bisschen am Laufenden ist. Vor allem mit der Polizei ist der Kontakt sehr wichtig, weil wir im Mai 2014 unsere Polizeidienststelle verloren haben. Sie wurde im Rahmen der Einsparungswelle des Innenministeriums mit Altlengbach zusammengelegt. Im Nachhinein wäre es wahrscheinlich besser, wenn wir sie doch wieder da hätten, von der Sicherheit her, aber jetzt ist es zu spät.

Fällt es auf, dass keine Polizeidienststelle mehr im Ort ist?

Es gibt dieses viel zitierte Sicherheitsgefühl, auch wenn es subjektiv ist, ist es im Hinterkopf. Dieses Gefühl hat jeder, auch ich. Einbrüche gehen auch bei uns nicht zurück, was mit den Flüchtlingen natürlich gar nichts zu tun hat. Es wäre halt vom subjektiven Sicherheitsgefühl her schön, wenn die Polizei noch da wäre.

Wenn man die Sache genau betrachtet, spielt es natürlich weniger eine Rolle, ob die Polizei 6 Kilometer weiter in Altlengbach ist, oder in Eichgraben. Es geht aber um das: Wenn wir eine da hätten, würden sich die Leute etwas sicherer fühlen. Deswegen war uns wichtig, dass die Polizei einmal in der Woche auch eine Sprechstunde hat.

Wie funktioniert die ärztliche Versorgung von Flüchtlingen in Eichgraben?

Die medizinische Versorgung ist geregelt. Sie bekommen eine Karte vom Innenministerium, mit der sie ganz normal zum Arzt gehen können, wie auch österreichische Staatsbürger.
Wir haben zwei Allgemeinmediziner, die alle Kassen haben und eben die Flüchtlinge behandeln.

Und bei medizinischer Versorgung, die in Eichgraben nicht vorhanden ist? Gibt es hier Unterstützung seitens der Gemeinde beim Transport?

Wenn sie die Rettung brauchen, haben sie natürlich auch Anspruch darauf. Sie haben Zugang zu unserem ganzen Gesundheitssystem, über das wir glücklicherweise verfügen. Wenn sie eine Überweisung bekommen, müssen sie genauso dorthin fahren, mit dem Taxi oder mit dem Zug. Bezüglich einer Unterstützung dafür ist mir nichts bekannt. Wenn uns etwas zu Ohren kommt, wo Unterstützung gebraucht wird, werden wir das selbstverständlich tun. Aber fixen Beschluss gibt es keinen.

Wie viel kosten die Flüchtlinge die Gemeinde Eichgraben oder wie viel bringen sie? Der Bund zahlt hier ja einiges dazu.

An und für sich bekommt derjenige, der die Flüchtlinge betreut, € 21,- pro Tag und Person, um die Flüchtlinge zu versorgen. Das sind bei unseren 35-40 Flüchtlingen um die € 800,- pro Tag. Allerdings bekommen wir vom Bund einiges rückerstattet. Darüber haben wir aber noch nicht detailliert gesprochen. Das werden wir dann im nächsten Voranschlag feststellen und dementsprechend vom Bund verlangen. Derzeit lässt sich dazu noch nichts Genaues sagen.

Vom Land Niederösterreich bekommen Flüchtlinge max. € 40,-/Woche Taschengeld. Zahlt die Gemeinde da noch etwas dazu oder gibt es im Ort Ermäßigungen für Flüchtlinge?

Neben dem Taschengeld vom Land und der normalen Hilfestelle seitens der Gemeinde wird den Flüchtlingen nichts extra ausbezahlt. Die Idee für Ermäßigungen hat es schon gegeben. Zum Beispiel im Freibad. Das mussten wir zurücknehmen. Manche haben das nicht eingesehen, warum Flüchtlinge das bekommen sollten. Wir haben darüber diskutiert und konnten keine einhellige Meinung dazu bekommen. Daher haben wir es weggelassen, bevor Probleme auftreten.

Wie steht Eichgraben grundsätzlich finanziell da?

Wenn wir weniger Schulden hätten, wäre es klarerweise nicht schlecht. Aber nach diversen Berechnungsschlüsseln, den Kennzahlen, passt es. Man muss natürlich unterscheiden, um welche Art von Schulden es sich handelt. Sind es beispielsweise Infrastrukturschulden – von Wasserleitungen und Kanal – sind das zwar auch Schulden, aber wir haben ja etwas davon. Daraus lukrieren wir wiederum Einnahmen. Aber im Grunde stehen wir gut da, würde ich sagen.

Die Eigenfinanzierungsquote von Eichgraben (diese “zeigt, in welchem Ausmaß die laufenden Ausgaben […] durch laufende Einnahmen […] gedeckt werden,” Anm.)  lag im Jahr 2010 nur bei 78%, in den zwei Jahren davor bei 93%. Sonst war sie in den vergangenen 10 Jahren konstant recht hoch. Was ist da passiert?

Es war ein unglückliches Zusammenspiel zwischen geplanten Investitionen und ungeplanten Ereignissen. Einerseits wurde in dieser Zeit das Gemeindezentrum neu eröffnet, das alles in allem ca. € 4 Millionen gekostet hat. Der Kindergarten wurde erweitert und auch das Rückhaltebecken musste gebaut werden. Letzteres haben wir einige Zeit lang aufgeschoben. Irgendwann ist uns aber das Land auf die Zehen gestiegen und daher mussten wir das machen. Das hat dann auch noch einmal € 1,3 Millionen gekostet, war aber ebenso notwendig. Deswegen hatten wir in diesem Jahr einen Durchhänger.

Das klingt aber alles nach erwartbaren Ausgaben. Hat man damit gerechnet, dass diese Jahre finanziell eher knapp werden?

Überraschend war es nicht, nein. Dass wir das Rückhaltebecken zu diesem Zeitpunkt bauen mussten war nicht geplant. Es ist dann noch etwas dazugekommen, dass für eine Gemeinde unserer Größenordnung auch gravierende Folgen hatte. Das waren nicht eingetriebene Schulden. Irgendwann waren das schon € 500.000, die einfach nicht reingekommen sind. Hier hat die Gemeindeführung eine Zeit lang nicht sehr nachdrücklich agiert. Das Gemeindeteam wurde aber mittlerweile erneuert, die Führung ist jetzt etwas anders. Seitdem klappt das sehr gut. Aktuell haben wir € 150.000,- bis € 200.000,-, die offen sind, aber das ist nicht mehr gravierend.

Wie funktioniert die Zusammenarbeit im Gemeinderat mit den sechs Fraktionen?

Wir waren ja auch schon vor der letzten Wahl fünf Fraktionen. Neu ist nur die FPÖ dazugekommen, die das erste Mal kandidiert hat und – damit war zu rechnen – sofort eingezogen ist.
Die Zusammenarbeit funktioniert gut. Unlängst hatten wir Besuch vom Bürgermeister und seiner Amtsleiterin aus Laab im Walde. Er sagte, bei uns laufe es ab wie in einer Familie. Bei ihnen würde öfters geschrien und durchaus auch geschimpft werden. Es kommt natürlich vor, dass jemand einmal laut wird, aber bei uns geht das eigentlich recht harmonisch über die Bühne.

Vor gut einem Monat haben wir uns in Eichgraben umgehört. Das Urteil über das Klima im Gemeinderat fiel nicht gut aus.

Natürlich wird manchmal auch heftig diskutiert, man muss ja seine Standpunkte darlegen. Aber wenn die Sitzung vorbei ist, geben wir uns die Hand und die Sache ist erledigt. Wenn die Leute hören, dass es ein Problem gibt, wo sich die Gemeinde nicht einig ist, hören sie, wir hätten gestritten. Im Endeffekt wurde diskutiert, das ist ja ganz normal. Ich kann mit allen Leuten gut reden, auch mit dem FPÖ-Gemeinderat klappt die Zusammenarbeit recht gut.

Wie beurteilen Sie die aktuelle bundespolitische Situation in der Flüchtlingsfrage?

Ich finde, man muss schon irgendwann einmal sagen: “Wir können nicht alle aufnehmen.” Wir wollen helfen und werden weiterhin helfen, aber man kann Flüchtlinge nicht ungezügelt aufnehmen. Im ersten Jahr, in dem man leider sehr spät reagiert hat, wurden 90.000 Flüchtlinge aufgenommen. Ich möchte nicht wissen, wie viele gekommen sind, die nicht registriert wurden. Das geht in einem Rechtstaat nicht. Die Leute müssen sich registrieren lassen. Wenn wir unser System über Bord werfen, haben wir Anarchie. Wenn es geregelt abläuft, ist dagegen nichts einzuwenden. In erster Linie ist die EU gefordert, aber auch unsere Bundespolitiker – die auf den Tisch hauen und sagen sollen: “Wir können nicht.”

Außenminister Sebastian Kurz sorgte in Interviews mit der “Presse am Sonntag” und der “Neuen Zürcher Zeitung” kürzlich für Aufregung, in denen er sich für eine Asylpolitik nach australischem Vorbild aussprach. Was halten Sie davon?

Der Vorstoß von Kurz gefällt mir grundsätzlich sehr gut. Natürlich kann man das nicht 1:1 auf Österreich umlegen, aber grundsätzlich finde ich es gut, einmal darüber nachzudenken, wo wir die Leute sammeln können. An sich ist schon klar: Jeder, der illegal kommt, hat das Recht hier aufgenommen zu werden zumindest zu einem Großteil verspielt. Wir leben nun mal in einem geordneten System in Europa. Wir müssen in der Lage sein, zu schaffen, worauf wir uns da einlassen. Deswegen finde ich es richtig, einmal darüber nachzudenken, und zwar bald darüber nachzudenken. Man muss ein System schaffen, dass die Flüchtlinge zum Beispiel über einen Hotspot, möglicherweise auf einer griechischen Insel, kommen. Das ist in Australien relativ leicht, die haben das auf Inseln außerhalb ihrer Küsten errichtet. Dort wird dann ermittelt, ob man dem Flüchtling Asylstatus geben kann oder ob man ihn wieder zurückschickt. Wie gesagt, wir helfen, aber ich glaube, das Recht steht uns zu, zu sagen: “Bis hier her und nicht weiter.” Sonst geht unser System flöten.

Das Problem ist ja großteils, dass es zur Zeit keine legalen Wege nach Europa gibt.

Weil man es verabsäumt hat, diese Hotspots zu errichten. Das hätte man relativ schnell tun sollen. Nicht, dass die Leute dann mit Hilfe von Schleppern übers Mittelmeer kommen müssen. Das ist natürlich furchtbar. Auch in Afrika ist Platz genug, dass man solche Hotspots errichten kann, wo man sein Aufnahmeverfahren in Gang setzen kann. Die Verteilung in Europa ist dann das nächste Problem. Hier ist die EU sehr säumig, den restlichen Mitgliedern beizubringen, dass sie auch ihre Pflicht zu erfüllen haben. Sie können nicht immer nur nehmen, sie müssen auch geben.

Sie haben gerade die Verteilung in der EU angesprochen. Finden Sie, dass die Verteilung in Österreich gut funktioniert?

Mittlerweile funktioniert es glaube ich ganz gut. Am Anfang waren alle überfordert von der Menge an Menschen, die gekommen ist. Es ist ja nicht so, dass die Gemeinden so viele leerstehende Räumlichkeiten haben. Vor allem für kleine Gemeinden ist das äußerst schwierig. Wenn wir nicht die Familie Schoberegger hätten, die das mit ihren Räumlichkeiten betreibt, hätten wir kaum Platz. Private Familien nehmen vereinzelt Flüchtlinge auf. Als Gemeinde haben wir aber keine Möglichkeit, dazu sind wir zu klein. Die größeren Städte wie Wiener Neustadt oder St. Pölten haben da zum Beispiel mehr Möglichkeiten.

Letzte Frage: Christian Kern, wird das was?

Das ist eine gute Frage. Ich kenne ihn nur als ÖBB-Chef. Ich weiß, dass er einer von uns ist. Näheres erfahre ich auch nur aus den Medien und über unsere Kanäle. Ich halte ihm natürlich die Daumen. Nicht nur, weil er einer von uns ist, sondern auch, dass etwas weitergeht in Österreich. Aber es wird schwierig. Es stecken ja beide Großparteien in der Krise. Das “Groß-” kann man mittlerweile auch schon streichen. Leider ist es schwer, einen Neuanfang zu schaffen, weil die Strukturen schon so verkrustet sind. Ich wünsche Christian Kern viel Glück dabei. Ich hoffe, er kann diese Strukturen aufweichen.

© Konstantin Hammermüller

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