Die goldene Schlange

Es war einmal eine große Königin, die war so reich, dass man es sich gar nicht vorstellen kann. Sie hatte alles: die schönsten Kleider, die wertvollsten Edelsteine, den prunkvollsten Palast und das leckerste Essen. Aber ihr war trotzdem immer langweilig, denn sie musste den ganzen Tag auf ihrem Thron sitzen und regieren. Deswegen lud sie gerne Seefahrer zu sich ein, damit sie ihr von ihren weiten Reisen erzählten. Aber bald konnten auch die ihr nichts neues mehr berichten.

Eines Tages aber kam ein besonders weit gereister Kapitän zu ihr.
„Ich habe etwas erlebt, davon habt Ihr sicher noch nicht gehört, Euer Majestät.“, versicherte er ihr. Die Königin wurde neugierig und wollte die Geschichte sofort hören.

„Ich bin Händler. Auf meiner letzten Reise kamen ich und meine Mannschaft in einen furchtbaren Sturm. Dabei ging ich über Bord, und wurde von den hohen Wellen hinuntergedrückt, sodass es niemandem gelang, mich wieder auf das Schiff zu ziehen. Ich kämpfte gegen die raue See an und versuchte über Wasser zu bleiben, aber irgendwann konnte ich nicht mehr, ging unter und wurde schließlich ohnmächtig.

© Ella Liebhart

Als ich wieder erwachte war ich an dem Strand einer verlassenen Insel angespült worden. Dort gab es alles, was ich zum Überleben brauchte: Wasser und Früchte in Hülle und Fülle. Auf meinem Erkundungsgang stieß ich immer weiter ins Innere der dicht bewaldeten Insel vor.
Als die Nacht hereinbrach, zündete ich ein Feuer an. Plötzlich hörte ich etwas, das wie ein Donnern klang. Die Erde bebte, dann rauschte es im Gebüsch und eine riesige Schlange schlängelte sich daraus hervor. Sie war so dick wie ein Fass und so lang, dass sie mein Schiff zweimal hätte umspannen können! Sie war ganz aus Gold und hatte Augenbrauen aus Edelsteinen. Im Gesicht trug sie einen langen, weißen Bart. Sie sah wütend aus.
„Wie kommst du auf meine Insel, du Zwerg!“, rief sie. Ich erzählte ihr die Geschichte von meinem Schiffbruch. Das schien sie zu besänftigen, aber sie machte jetzt ein trauriges Gesicht. „Dann bist du hier nicht einfach eingedrungen?“, sagte sie.
„Du musst wissen, vor vielen Jahren machte auch ich eine Reise und lies meine Eltern, meine Brüder und Schwestern, meine Frau und meine Tochter auf dieser Insel zurück. Während ich weg war fiel ein brennender Stern vom Himmel und tötete meine ganze Familie. Ich wurde zwar verschont, aber die Trauer um sie war noch schlimmer als der Tod.
Auch mir ist etwas Schlimmes passiert, darum habe ich Mitleid mit dir. Es war ein Wille Gottes, dass du auf diese Insel gespült worden bist, wo es genug Nahrung für dich gibt. Hier wird dir nichts geschehen.“

Ich war erleichtert und verbeugte mich vor ihr.
Da leuchteten die Augen der Schlange auf einmal strahlend auf und sie summte. Dann sagte sie: „Ich sehe, ich sehe… dein Schiff wird kommen, aber erst nach vielen Monaten. Dann wirst du nach Hause zurückkehren können. Bis dahin werde ich dir ein guter Gastgeber sein.“
Und so war es auch. Ich verbrachte eine lange Zeit auf der Insel. Die Riesenschlange und ich wurden gute Freunde und sie erzählte mir viele unglaubliche Geschichten von ihren eigenen Reisen, die ich mir alle aufschrieb. Die ganze Zeit über lies ich ein Signalfeuer am Strand brennen, um Schiffe auf mich aufmerksam zu machen. Auf der Insel ging es mir zwar gut, doch ich vermisste meine Familie sehr.
Als dann ein Schiff kam, war es tatsächlich meine eigene Mannschaft, die mich schon für tot gehalten hatte. Vor wenigen Tagen erst haben wir wieder hier im Hafen angelegt. Und jetzt werde ich mir einen anderen Beruf suchen, denn ich will nie wieder so weit von meinen Liebsten entfernt sein. “

Die Königin war so beeindruckt von der Geschichte des Kapitäns, dass ihr der Mund offen stehen geblieben war. „Kapitän, das war die spannendste Geschichte, die ich je gehört habe.“, sagte sie schließlich. „Du musst nicht länger nach einem neuen Beruf suchen. Ich möchte, dass du mein persönlicher Geschichtenerzähler wirst, denn ich möchte alles hören, was dir die Schlange auf der Insel erzählt hat.“
Und so kam es dann auch.

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