Im Takt der Integration

Die Lehrerin Heidemarie Dürmoser und ihre Klasse

von Judith Graf und Katharina Belihart

Heidemarie Dürmoser hievt langsam ihre Lieblingstrommel, eine Djembé mit blau gemustertem Holzkorpus, zu dem Sessel vor ihrem Schreibtisch. Ihre schwarzen Haare sind schon zusammengebunden, damit sie nicht mehr stören können. Jetzt streift sie noch behutsam ihre silbernen Ringe, vier an der Zahl, ab und atmet tief ein. Mit geschlossenen Augen beginnt sie langsam und dann immer fester mit ihren Händen auf die Trommel zu klopfen.
Sie ist Volksschullehrerin in Eichgraben und sucht gerade nach dem perfekten Samba-Beat, um ihn mit ihren SchülerInnen der vierten Klasse beim Sommerabschlussfest zu spielen. Jedes Kind wird ein rhythmisches Instrument bekommen, und alle werden gemeinsam musizieren.

© Katharina Belihart

Die Lehrerin spürt den Druck auf ihren Handflächen und muss an ihre Anfänge denken. Natürlich schmerzt das Trommeln zu Beginn, aber nach einiger Zeit bemerkt man es fast nicht mehr. Deswegen fängt sie auch schon in der ersten Klasse damit an, das Trommel-Spielen mit den Kindern zu trainieren. So haben sie viel Erfahrung und können ihren eigenen Fortschritt beobachten. Einer der Schüler hat noch nicht so viel üben können, er ist erst seit etwa eineinhalb Jahren in Dürmosers Klasse. Sajad heißt er und kommt aus dem Irak. Er ist mit seinem Vater Wesam aus dem Irak nach Österreich geflüchtet. Es war der Nikolaustag 2014, daran erinnert sich noch Heidi Dürmoser genau. Zu diesem Zeitpunkt hat ihr die Direktorin der Volksschule eröffnet, dass bald ein Flüchtlingskind in ihre Schule kommen würde. Das allererste in der 4500-Einwohner-Gemeinde Eichgraben rund 30 km westlich von Wien.

©Marlene Liebhart
© Marlene Liebhart

Zicke Zacke Zug

Wenn man das Internet nach Reaktionen auf Flüchtlingskinder in österreichischen Schulklassen durchforstet, stößt man in letzter Zeit oft auf Misstrauen und Argwohn. Eltern sorgen sich, wollen nicht, dass geflüchtete Kinder zu ihren eigenen in die Klasse kommen. In Eichgraben war das nicht der Fall – im Gegenteil: „Ganz am Anfang, als Sajad nach Eichgraben gekommen ist, haben die Eltern seiner Klassenkollegen angerufen und gefragt, was er braucht. Am nächsten Tag sind zwei Kinder in die Schule gekommen mit großen Plastiksackerln mit Stiften, Heften und Zeichensachen für ihn“, erinnert sich Heidi Dürmoser.

Die erste Zeit mit Sajad war sowohl für den Buben, als auch für seine neuen Klassenkameraden nervenaufreibend – denn der Zehnjährige konnte kein Wort Deutsch. Die Lehrerin sah darin aber „eine sehr schöne Herausforderung“. Anfangs mussten sie noch mit Händen und Füßen gestikulieren, um sich zu verständigen. Mittlerweile spricht Sajad aber sehr gut Deutsch, schon nach sechs Wochen beherrschte er die gesamte Blockschrift. Nur mit dem Buchstaben „Z“ hatte der junge Iraker anfangs Schwierigkeiten. Denn das „Z“ wird in der arabischen Sprache eher wie ein „S“ ausgesprochen. „Zicke Zacke hat er aber sagen können. Da hab ich ihm einfach eine Liste mit Wörtern geschrieben und davor eine Zick-Zack-Linie gemacht. Zicke Zacke Zug. So hat’s dann funktioniert“, erzählt Dürmoser stolz von ihrem Einfall.

Die Integration in die Klassengemeinschaft war für den Jungen nicht besonders schwer. „Sajad ist sehr offen und freundlich, wirklich ein lieber Bub. Und meine Kinder haben ihn sofort gemocht. Sie akzeptieren ihn, wie er ist – aber sie akzeptieren alle, wie sie sind“, erklärt Heidi Dürmoser jedem, der nach der Integration in der Klasse fragt. Sajad gehört einfach dazu, jede und jeder der SchülerInnen will ihm helfen, viele spielen mit ihm Lernspiele oder arbeiten gemeinsam am extra angeschafften Computer.

„Ich bin ihr gleich um den Hals gefallen“

Nicht nur der Schüler wurde in Eichgraben gut aufgenommen, auch seinem Vater Wesam ging es ähnlich. Mithilfe des Vereins „Mosaik“ konnte er Deutschkurse machen und hat Anschluss an die Bevölkerung gefunden. Trotz allem Engagement gab es lange Zeit aber ein Problem, das selbst die findigsten HelferInnen nicht lösen konnten: Sajads Schwester und seine Mutter waren noch im Irak. Erst im Herbst 2015, fast 9 Monate nach dem Buben und dem Vater, kamen die beiden nach Österreich. Und wieder waren die Eltern von Heidi Dürmosers Schülern zur Stelle.

„Als ich erfahren habe, dass sie da sind, hab ich gleich eine Rund-SMS an alle Eltern geschickt“, erinnert sich Heidemarie Dürmoser, als sie sichtlich gerührt an diesen Tag zurückdenkt. „Mir haben die Kinder in der Schule gesagt, ihre Mama ist gerade einkaufen, was denn das Mädchen für eine Kleidergröße hat, sie wollen ihr etwas mitbringen.“

Auch die Lehrerin selbst war nicht untätig. „Ich bin gleich einkaufen gefahren, hab Essen und Toilettenartikel und Barbiepuppen gekauft und die Sachen Montag Früh noch vor der Schule bei ihnen daheim abgeliefert. Die Mutter hat mich nicht gekannt, aber ich bin ihr gleich um den Hals gefallen weil ich mich so gefreut hab, dass sie endlich da ist. Die wird sich was gedacht haben“, meint sie und muss bei der Erinnerung daran lachen.

Mittlerweile hat sich die irakische Familie in Eichgraben gut eingelebt, Eltern und Kinder haben FreundInnen gefunden. Der Vater ist bereits als Flüchtling anerkannt und auf Jobsuche, die Tochter geht in die erste Klasse, die Mutter kümmert sich um den Haushalt und macht einen Deutschkurs. Und Sajad? Der ist der Star in der U10 des örtlichen Fußballvereins. Und übt fleißig Trommel spielen – auf dem Abschlussfest wird er mit seinen KlassenkameradInnen auftreten.

Das Fest ist für die Kinder der Abschied von der Volksschule. Im nächsten Jahr werden die vierten Klassen, darunter auch Sajad, in die Neue Mittelschule in Eichgraben wechseln. Der Abschied von ihrer Klasse wird Heidi Dürmoser sehr schwer fallen, aber immerhin hat sie ihre Erinnerungen und kann mittlerweile ein Wort auf Arabisch schreiben – Sajad.
6.1_VS_Sajad
© Katharina Belihart

 

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